Titel
Ostermundigen. Gemeindeentwicklung, Geschichte


Herausgeber
Einwohnergemeinde Osermundigen
Erschienen
Ostermundigen 2003: Einwohnergemeinde Ostermundigen
Anzahl Seiten
Preis
ISBN
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christian Lüthi, Universitätsbibliothek Bern

Heute sind im Kanton Bern Gemeindefusionen in den Schlagzeilen. Vor 20 Jahren jedoch teilte sich die Gemeinde Bolligen in drei eigenständige Kommunen auf: Bolligen, Ittigen und Ostermundigen. Diese Trennung war der Anlass für eine 1983 erschienene Gemeindegeschichte Ostermundigens, die grösstenteils Karl Ludwig Schmalz verfasste. Zum 20-jährigen Bestehen der Gemeinde gab der Gemeinderat eine neue Publikation in Auftrag. Der schön illustrierte Band enthält den knapp 50 Seiten umfassenden historischen Teil der Publikation von 1983 ohne inhaltliche Änderungen. Zusätzlich hat eine Gruppe von 20 Autorinnen und Autoren auf den ersten 80 Seiten neue Beiträge verfasst. In thematischer Gliederung stellen sie die jüngste Vergangenheit und die Gegenwart der Gemeinde dar. Das Buch enthält Kapitel zur Ortsplanung, zur Entwicklung der Bevölkerung und der Schulen, zu Einrichtungen für Jugendliche und ältere Leute, zu Steuern und Finanzen, zu Wasserversorgung, Freibad, Abwasserreinigung, Abfallbewirtschaftung, Feuerwehr, Zivilschutz, Verkehr, Wirtschaft, Vereinen, Kirchen sowie zur Kunst in der Agglomerationsgemeinde.

Der Band bietet einen guten Überblick über ein Gemeinwesen, das rund 15'000 Einwohnerinnen und Einwohner zählt und damit zu den zehn grössten Kommunen im Kanton Bern gehört. Sehr aufschlussreich für Aussenstehende sind die historischen Abschnitte über den öffentlichen Verkehr und die Steinbrüche, die weit über Ostermundigen hinaus von Bedeutung waren. Seit dem Spätmittelalter wurde hier Sandstein als Baumaterial für die Stadt Bern gewonnen. 1865 übernahm eine Aktiengesellschaft dieses Geschäft. Ihr Präsident war der frühere Bundesrat Jakob Stämpfli, der die Anlage zum grössten Steinbruch der Schweiz erweiterte. Die AG errichtete 1871 eine eigene Bahnlinie, welche die Steinblöcke vom Ostermundigenberg zum alten Bahnhof bei der Waldeck beförderte. Fünf Bundesräte nahmen an der Eröffnung der Bahn teil, welche die steilste Strecke mit einem Zahnradantrieb überwand. 1902 löste sich die Gesellschaft auf, da andere Baumaterialien den Sandsteinabbau unrentabel gemacht hatten. Trotzdem wird seither von privaten Firmen in der Gemeinde weiterhin Sandstein abgebaut, wenn auch in kleineren Mengen.

Andere spannende Themen aus der Ostermundiger Geschichte werden leider
höchstens angetippt. Beim Abschnitt über das Vereinswesen erfährt man von Arbeiterfamilien, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Gemeinde niederliessen. Sie arbeiteten unter anderem in der Zentralheizungsfabrik auf Stadtberner Boden und in der Kartonfabrik Deisswil. Interessant wäre es, etwas über das Zusammenleben der landwirtschaftlich ausgerichteten Einwohnerschaft und den neuen Bevölkerungsgruppen zu erfahren. Das rasante Wachstum der Gemeinde seit 1945 handelt die Publikation bloss anhand der Bevölkerungs- und Verkehrsentwicklung ab. Die politische Ebene bleibt jedoch völlig ausgeblendet. Dabei wäre es spannend, Diskussionen rund um die bauliche Entwicklung und die Ortsplanungsfragen im 20. Jahrhundert historisch aufzurollen. Doch wie in vielen anderen Ortsgeschichten machen die Autorinnen und Autoren einen grossen Bogen um das politische Leben. Das Buch enthält nicht einmal Porträts der wichtigsten Parteien, und auch die Ursachen der Gemeindetrennung sowie das Verhältnis zu den Nachbargemeinden bleibt unerwähnt. Bereits 1913 wollte sich Ostermundigen der Stadt Bern als Quartier eingliedern, doch es kam anders: Karl Ludwig Schmalz hat die langwierige Geschichte der Loslösung von der Gemeinde Bolligen detailreich in der Ortsgeschichte Bolligen von 1982 dargestellt. Es wäre mit wenig Aufwand möglich gewesen, eine Zusammenfassung aus Ostermundiger Perspektive zu verfassen. Gerade für neu Zugezogene und eine jüngere Leserschaft müsste dieses Thema in der Ortsgeschichte vorkommen. Ausserdem hat die Gemeinde vor zirka zehn Jahren in einem innovativen Projekt rund 50 ältere Einwohnerinnen und Einwohner zum Alltagsleben in Ostermundigen befragen lassen. Die auf Tonbandkassetten aufgezeichneten Interviews sind leider nicht in das neue Buch eingeflossen. So bleibt zu hoffen, dass die Gemeinde bei einem nächsten Jubiläum ein grösseres Projekt startet, bei dem sämtliche Quellen zur jüngsten Vergangenheit ausgewertet werden.

Zitierweise:
Christian Lüthi: Rezension zu: Ostermundigen. Gemeindeentwicklung, Geschichte. Ostermundigen, Einwohnergemeinde
Ostermundigen, 2003. 128 S., ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 66, Nr. 1, Bern 2004, S. 54f.

Redaktion
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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 66, Nr. 1, Bern 2004, S. 54f.

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